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Km 12879 - Km 12883_Tuticorin - Chennai


Als erste Amtshandlung heute Morgen geht es zum Frühstück und anschliessend direkt zum Veloschlauch ersetzen. Der in Cynthias Vorderrad hat einen richtig langen Schlitz bekommen und muss dringend ausgewechselt werden. Nach dem bitzeli werkeln in der Hotelgarage verziehen wir uns wieder auf unser Zimmer und machen uns für die bevorstehende Reise bereit.

Als unsere Räder nach beinahe einem Monat aus der Hotelgarage rollen, freut dies nicht nur uns. Auch die Hotelangestellten, der Manager und der Wachmann kommen zur Verabschiedung. Es werden Hände geschüttelt, Danksagungen ausgesprochen und zum Abschied kräftig gewunken.

Auch wenn es nur für wenige Meter sind – es ist einfach grossartig, das Velo wieder unter dem Füdli zu spüren. Nachdem wir nun beinahe ein Jahr on tour sind, fühlen wir uns ohne Pedale unter den Füssen irgendwie nicht vollständig. Und so geniessen wir die zwei Kilometer lange Fahrt zum Bahnhof. Ob wir uns wegen dem Genuss oder wegen der vielen Eindrücke unterwegs verfahren haben? Wer weiss.

Wir treffen zum vereinbarten Zeitpunkt beim Parcel Office ein. Vier Stunden vor Abfahrt des Zuges. Mike geht zum Schalter und wird für fünf Minuten vertröstet. Es handelt sich um indische fünf Minuten. Schlussendlich kommen wir dann nach zwei Schweizerstunden an die Reihe. Während dieser Wartezeit geht Mike einkaufen und Cynthia gibt den Gepäckwachposten.

Mike schnappt sich also ein Tucktuck und lässt sich in den nächsten Supermarkt bringen. Das Tucktuck hält vor einem bescheidenen zweigang Laden an. Mike ist sofort von vielen, vielen Helfern umgeben. Einer hilft mit dem Körbchen, einer trägt die Produkte zur Kasse, einer tippt das Zetteli, einer kontrolliert nochmal, einer nimmt das Geld, einer verpackt die Produkte in die Tasche, einer reicht die Tasche an Mike und der letzte macht am Ausgang noch den obligaten Stempel auf die Quittung. Mike springt wieder in das Tucktuck. Keine zwanzig Meter neben dem Laden wo er gerade war, befindet sich ein grosses Einkaufszentrum. Hier hätte es alles gegeben, was das Herz begehrt. Snickers, Cola, Chips. Tja. S nächscht mol vilicht. Anschliessend geht es zum Kiosk. Zigaretten kaufen. Wie hier üblich in Indien wird ihm der Preis für ein Zigarettenpäckli angechüschelet. Man verstehts beim besten Willen nicht. Den Indern ist der hohe Preis von 78 Rupien – ungefähr ein Franken – sichtlich unangenehm. Mike bekommt dann aber doch das Cynthiaruhigstellungsmittel und verlässt den Kiosk. Zurück im Tucktuck wieder das selbe Spiel – wenige Schritte vom Lädeli entfernt befindet sich der Tabakshop. Mit Camel, Marlboro und so weiter. Botzbletz. Voll den Tucktuckfahrer mit den falschen Cousins und Brüdern ausgesucht.

Während Mikes Einkaufsabenteuer wird Cynthia am Bahnhof von einer Frau angesprochen. Zuerst mal müssen die wichtigsten Eckdaten wie Zivilstand, Anzahl Kinder, Konfession und so geklärt werden. Anschliessend werden über genau die Themen ausführlich diskutiert. Anschliessend gesellt sich noch eine jüngere Dame in die Runde. Sie ist verantwortlich dafür, dass die unglaublich Nerv tötenden Werbespots - die sich in kurzen Interwallen an den Bildschirmen wiederholen und einem entweder taub oder irre machen – ausgestrahlt werden.

Nach etwa einer halben Stunde kehrt Mike zurück. Genau pünktlich, um nun die Räder abzugeben. Groosses Härzpümperlen. Man weiss ja nie, wo die Räder schlussendlich ankommen. Zu allem Überfluss dürfen wir die Räder aus Transportgründen auch nicht abschliessen. Das macht uns irgendwie nervös. Aber wir haben ja eine Quittung. Und Holz aaglängt. Und Stossgebetlet. Chund scho guet. Etwa zweihundert Rupien kostet die Reise für unsere Drahtesel. Ein Schnäppli. Gemäss Transport Reglement sind die Preise klar ersichtlich. So werden Gegenstände pro Kilo und Lebewesen nach Art berechnet. Ziegen kosten 500 Rupien, Pferde 3000 und um einen Elefanten mit dem Zug von Tuticorin nach Chennai zu fahren muss man sechstausend Rupien – 90 Franken – hinblättern.

Glücklicherweise finden wir einen Gepäcktrolley und so können wir unser – es isch im Fall huere vell, mer sötte da ergendwie mal dra schaffe – Gepäck bis zu unserem Waggon transportieren. Der Zug steht schon lange da, aber die Türen sind geschlossen. So warten wir eine weitere Stunde auf dem Perron.

Ungefähr um siebzehn Uhr öffnen die Türen. Natürlich braucht unser Gepäck verhältnismässig enorm viel Platz. Unter dem Sitz ist alles zugepackt und auf den Sitzen haben wir auch nur halb Platz. Aber: alles verstaut und aus Schutz vor Dieben auch miteinander verschnürt. Blöd nur, dass da noch vier weitere Personen Platz finden sollten. Naja. Irgendwie geht’s dann ganz gut und die vier Personen sind glücklicherweise eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Perfekt.

Übrigens fahren wir diesmal zweite Klasse. Der Unterschied zur ersten Klasse ist schnell ersichtlich. Anstatt vier, passen hier sechs Personen in ein Abteil, es gibt keine Vorhänge, Klimaanlage oder Bettwäsche, das Fenster ist offen und Mike findet, es riecht wie in der Kaserne von Bern. Kurzum: wir fühlen uns ganz wohl.

Der Zug fährt pünktlich los und wir legen uns auch schon schnell schlafen. Dies klappt auch ganz gut. zmittts im Fahrtwind. Irgendwie schön.

Chennai erreichen wir am nächsten Morgen, planmässig um kurz vor acht Uh. Zuerst mal wird all das Gepäck wieder ausgeladen und Cynthia wird als Wachposten am Gleis positioniert. Mike begibt sich in der Zwischenzeit zum Gepäckwagen – auf der Suche nach unseren Velos. Im vordersten Wagen wird er schnell fündig. Die Räder sind in Sichtweite. Aber so einfach kommt man im Land des Paperkrams natürlich nicht an seine Sachen. Also: Quittung vorzeigen. Velos an sich nehmen, mit beiden Velos zum Parceoffice marschieren – Zuerst das Gepäck aufladen ist verboten, Quittung in ein grosses Buch abschreiben lassen, Neue Quittung entgegen nehmen, neue Quittung stempeln lassen, neue Quittung in anderes Buch abschreiben lassen und während dem die Räder die ganze Zeit über unlocked vor dem Parceloffice stehen lassen. Phuu. Härzpömperli zum zwöite. Auf dem Rückweg zum Gleis muss er weitere dreimal diese neue Quittung zeigen und darf dann endlich zu Cynthia zurück, die sich bei der Wartezeit von 45 Minuten schon angefangen hat sich zu wundern. Besonders, als dann der Zug wieder ausfuhr, der Gepäckwagen an ihr vorbei und keinerlei Mike in Sicht war. Ja liebe Leser. Nun wisst ihr, wie man ein Gepäck am Bahnhof Chennai einlöst. Wie das wohl beim Elefanten geht?

Die Räder sind nun beladen und wir verlassen den Bahnhof Chennai Egomore. Im erstbesten Hotel checken wir ein.

Kaum im Hotel eingecheckt, zieht es uns auch schon wieder aus den neuen vier Wänden. Wir haben Hunger. Kein Wunder, schliesslich waren wir ja auch eine ganze Weile unterwegs. Zuerst also mal zur Frühstückssuche. Irgendwie gluschtet es uns nach etwas anderem als Dosa und so spazieren wir in mal los. Der Coffeeshop ist schnell gefunden, hat aber leider noch geschlossen. Wir warten etwas in der verlassenen Mall auf die Öffnungszeit, geben dann aber doch auf und lassen uns von einem Tucktuck erstmal zur Central Station - da wo der Zug nach New Delhi ablegt - fahren. Der Ticketschalter der Central Station befindet sich nicht etwa im Bahnhof selber, sondern zwei Häuser weiter. Wir finden das Gebäude schnell und entdecken tatsächlich ein extra Büro für Ausländer. Das betrifft wohl uns. Das Büro ist ziemlich geräumig und - anders als an den anderen Schaltern - gibt es keine Warteschlange. Luxury live of foreigners so quasi. Wir warten einige Minuten bis die Dame ihr Telefongespräch beendet hat und fragen anschliessend nach einem Ticket für den folgenden Tag. Kein Problem. Im Gegensatz zu den Berichten in einigen Blogs, mussten wir in Indien bislang nie auf ein Ticket warten. Die Angabe, dass man mehrere Monate im Voraus reservieren muss, stimmt somit nur teilweise. Kann sein, dass es je nach Waggon eine Warteliste gibt, wir haben unsere Tickets aber bislang immer ohne Probleme direkt erhalten. Und so auch in Chennai. Ohne Umschweife übergibt uns die freundliche Dame unsere Tickets für den darauffolgenden Abend. Und da wir den Ticketpreis etwas aufrunden, werden wir auch von der lästigen Visa- und Passkopiererei und nochmal Vorbeikommerei verschont. Da wir ja bekanntlich noch grosses Gepäck dabeihaben, geht es nun noch zum Parcel Office. Dieses liegt direkt im Bahnhof. Nach einer Registrierung mit ganz vielen Angaben bei Appu, bekommen wir die Info, dass wir am nächsten Tag um sechzehn Uhr vor Ort sein müssen. Sechs Stunden vor Zugabfahrt. Wir lassen uns zurück in unser Hotel fahren und finden endlich ein Frühstück. Dosa. Tja. Anschliessend gehen wir auf unser Zimmer und schreiben eine kleine Postiliste. Bei sechsunddreissig Stunden Zugfahrt will man ja auch was zu Schnausen haben. Also verlassen wir kurz vor Mittag schon wieder unser Hotel und lassen uns in eine weitere Mall fahren. Nach etwas Gesuche finden wir den Big Bazaar - eine Art indische Migros - in der wir uns zünftig für die bevorstehende Fahrt eindecken. Die freundliche Dame an der Kasse verpackt uns dann auch noch alles in einen Plastiksack. Sieben Liter Getränke, Chips, Brot, Guetzli, Schoggi, Schampoo und so weiter. Alles in einen Sack. Wie wir das zehn Kilo Bündel heimtragen sollen bleibt uns überlassen. Zum Glück haben wir aber vorher noch ein neues T-Shirt für Mike geshoppt und so können wir nun die Errungenschaften in zwei Tüten verteilen. Zur Feier des Tages - und etwas zur nervlichen Beruhigung - geht es nun noch in den Donutladen. Juhuuu. Donuts und Caffe Latte. Da fühlt man sich doch gleich besser. Nun aber zurück zum Duschen. Bitzi feiner schmöckend geht es nun auf an die Marina Beach. Mal gucken, was Chennai so zu bieten hat. Die Marina Beach ist gesäumt von hübschen Pavillons und einigen Statuen. Wir schlendern etwas umher und peilen den Strand an. Hier hat es sooooo viele Menschen. Tausende. Alle tummeln sich - eingewickelt in bunte Stoffe - hier im Sand. Es hat auch Pferde, auf denen man reiten kann und die sich wohl nicht mehr an ihre letzte Mahlzeit erinnern können. Ein bitteres Bild. Dazwischen immer wieder die bettelnden Kinder, die nicht von unserer Seite weichen wollen. Einem Jungen kauft Mike ein Linsengericht. Der Knirps scheint dankbar. Was er wohl morgen zu essen bekommt? Wir verlassen den Strand wieder und schlendern weiter entlang der Promenade. Es hat sehr viele arme Menschen und viele wollen etwas von uns. Sie zupfen am T-Shirt, laufen an unserer Seite und flehen um Geld. Es ist schwierig, sich zu distanzieren. Und die Frage - ob man sich überhaupt distanzieren kann und soll - ist noch schwieriger. Ein junger Mann verfolgt uns über eine längere Strecke und brabbelt uns von seinem Motorrad aus an. Er steht sichtlich unter Drogen und seine Gegenwart ist ziemlich unangenehm. Erst das zweite Mal Strassenseite wechseln schüttelt ihn dann ab. Wir wollen uns aber nicht dazu drängen lassen, uns in unser Hotel zurückzuziehen und so spazieren wir noch bis zum Leuchtturm. Nach einem kleinen Imbiss werden wir dann doch langsam müde und suchen eine Fahrgelegenheit in unser Hotel. Der Tucktuckfahrer nervt. Erst will er uns unbedingt in seinen Shop fahren, und als wir das vehement ablehnen, lässt er uns in einer schäbigen Gasse aussteigen. Zwar sind wir in der Nähe unseres Hotels, aber diese Ecke hier ist wirklich nicht einladend. Zu allem Überfluss verlangt er nun plötzlich den doppelten Fahrpreis. Wir weigern uns und es kommt zu einer Diskussion. Aber der hat wohl nicht damit gerechnet, dass wir das schon kennen. Wir bleiben standfest und weigern uns, diese Unsumme zu bezahlen. Schliesslich gehts ums Prinzip. Nach einem hin und her latschen wir dann halt den Rest des Weges bis zu unserer Unterkunft. Kurz vor der Ankunft reissen natürlich noch die beiden Tüten unserer Einkäufe. Wen wunderts. Nun sind wir aber ziemlich geschafft. Irgendwie sind wir ja auch seit Hikkaduwa nonstop unterwegs und das rächt sich allmählich. Im Zimmer angekommen, beginnen wir ein Gespräch darüber, wie gut uns unsere neue Routenplanung gefällt, und wer wie zufrieden ist damit. Bitzi Anspannung liegt in der Luft. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist die Tatsache, dass Cynthia die Mobilen Daten beim Handy nicht ausgestellt hat. Vielviel Geld ist den Gulli ab. Mike siehts locker, aber sie ist total gefrustet. Irgendwie läuft gerade nichts wie es soll und müde sind wir auch und sowieso irgendwie alles mühsam. Die Tränen kullern nur so vor sich hin und Mike ist irgendwie auch ganz döre. Ob es für die Leser verständlich ist, wenn man - trotz so quasi elf Monaten Urlaub - mal gefrustet ist? Egal. Ist eben so. Eine Weltreise ist kein Zuckerschlecken. Man trägt viel Verantwortung, es braucht viel Planung, Disziplin, Flexibilität und Kraft. Macht das ganze Spass? Ja meeega. Ist das ganze manchmal etwas zu viel? Vielleicht. Wollen wir weiterreisen? Auf jeden Fall. Eine Krise gehört wohl einfach dazu. Aber so ein Gewitter reinigt ja auch und es ist gut, dass wir beide unseren Unmut loswerden können. Nun ist die Bahn frei für eine neue Planung. Plan A, B, C und D wird mehr oder weniger durchgesprochen. Erst spät abends finden wir Ruhe und kriechen unter die Decke. Und ein Huggie wirkt ja sowieso Wunder.

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